Jigoro Kano kam am 28. Oktober 1860 als dritter Sohn einer japanischen Sake-Brauerfamilie in Mikage, einem kleinen Dorf in der Provinz Hyogo, zur Welt. Sein ursprünglicher Name lautete „Shinnosuke“, welcher später in Jigoro geändert wurde. Er wuchs zunächst in seinem Heimatdorf zusammen mit seiner Mutter und jeweils zwei älteren Brüdern und Schwestern auf. Jigoro verdankte seiner Mutter durch eine äusserst strenge und gutmütige Erziehung sein gutes Herz und seine Charakterstärke.
Nach dem frühen Tod seiner Mutter im Jahre 1869 zog Kano mit seinen Geschwistern zu seinem Vater nach Tokyo. Sein Vater war von einer guten Bildung als Grundstein für ein erfolgreiches Leben überzeugt. Daher liess er Jigoro von Gelehrten in Kanji, japanischen Schriftzeichen mit chinesischem Ursprung, sowie Kalligrafie unterrichten. Anschliessend schickte sein Vater ihn im Alter von 14 Jahren auf eine Privatschule, wo er Englisch lernte. Später studierte Jigoro Philosophie an der Universität von Tokyo und erlangte im Alter von 22 Jahren seinen Abschluss.
Als Samurai-Nachfahre beschäftigte sich Jigoro bereits in jungen Jahren mit Kampfkünsten. Seit seiner frühen Kindheit fiel er durch eine schwächliche Statur auf und wurde als Schüler von stärkeren sowie älteren Jungen häufig tyrannisiert. Er beschloss sich daher mit der Selbstverteidigung zu beschäftigen und entdeckte dabei die damals bekannte japanische Kampfkunst des Jiu-Jitsus. Neben der Selbstverteidigung in Form von Jiu-Jitsu begeisterte sich Jigoro zudem für zahlreiche Sportarten wie Gymnastik, mit dem Zweck, seinen Körper zu stärken. Im Alter von 15 Jahren versuchte Jigoro in einem Jiu Jitsu Dojo, als Schüler aufgenommen zu werden. Zu seiner grossen Enttäuschung lehnte man ihn jedoch ab.
Aufgrund der wirtschaftlichen Situation des Landes entschieden sich viele ehemalige Jiu Jitsu Meister und Praktizierende als Osteopathen ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Mit diesem Wissen begab sich Jigoro auf die Suche nach einem geeigneten Osteopathen, der bereit war, ihn in der Kampfkunst des Jiu Jitsus zu unterrichten. Nach einiger Zeit stiess er auf die Praxis von Sadanosuke Yagi, der in der Vergangenheit Jiu Jitsu praktiziert hatte. Jigoro versuchte den älteren Mann enthusiastisch davon zu überzeugen, ihn in der Kampfkunst zu unterrichten. Anfangs lehnte der Osteopath den Vorschlag entschieden ab. Doch Jigoro blieb hartnäckig und erzählte dem Mann von seinem Bedürfnis, seinen Körper zu stärken und die Selbstverteidigung zu beherrschen. Der ältere Mann war äusserst beeindruckt von dem Eifer und der Hartnäckigkeit des Jungen und liess sich schliesslich überzeugen, Jigoro einem Jiu Jitsu Meister vorzustellen. Hachinosuke Fukuda nahm ihn anschliessend in seinem Dojo auf und lehrte dem zu dieser Zeit 18-jährigen Jigoro eine Kombination aus den Kampftraditionen des „Yoshin ryu“ und „Shin ni Shinto ryu“ Jiu Jitsu.
Nach etwa einem Jahr des eifrigen Trainings besuchte der 18. Präsident der Vereinigten Staaten, Ulysses S. Grant, Japan und wünschte sich zur Unterhaltung eine Vorführung der japanischen Kampfkünste. Das Fukuda Dojo, in dem Jigoro Jiu Jitsu trainierte, wurde für diese Vorführung ausgewählt. Vor den Augen des damaligen Generals beeindruckte Jigoro mit seinen erlernten Techniken im Randori, dem freien Sparring.
Kurz nach diesem Ereignis verstarb Meister Fukuda. Die hinterbliebene Familie von Fukuda bat Jigoro anschliessend aufgrund seines hingebungsvollen Trainings das Dojo zu übernehmen. Jigoro kam dieser Bitte nach und entschied sich gleichzeitig die Schule von Masatomo Iso, welche „Tenjin Shinyo ryu“ Jiu Jitsu unterrichtete, zu besuchen. Mithilfe seiner Hingabe zur Kampfkunst verdiente sich Jigoro auch hier schnell durch seine gewohnte Hingabe die Position eines assistierenden Lehrers und später den Titel des Meisters.
Im Alter von 21 Jahren nahm Jigoro als Student regelmässig an einer Jiu Jitsu Gruppenvorführung in der Halle der Universität von Tokyo teil. Die Veranstaltung wurde von dem Ichimon Totsuka Dojo, welches die Kampftradition des „Yoshin ryu“ Jiu Jitsu trainierte, organisiert. Jigoro nutzte jede Gelegenheit, an den Veranstaltungen teilzunehmen und stellte nach einiger Zeit fest, dass jede Kampftradition ihre eigenen Stärken hatte. Diese Erkenntnis ist die Grundlage für das später von ihm begründete „Kodokan Judo“.
Nach dem Tod seines zweiten Meisters entschloss sich Jigoro an weiteren Jiu Jitsu Schulen zu lernen, um seine Techniken weiterzuentwickeln und zu ergänzen. Auf diesem Wege lernte er Masao Yamamoto kennen, einen Meister des „Kito ryu“ Jiu Jitsu. Dieser bot ihm an, unter Tsunetoshi Iikubo zu lernen. Mit 22 Jahren eröffnete Jigoro schliesslich sein erstes eigenes Dojo in einem Raum des Eishoji Tempels. Er investierte sein bisher durch den Unterricht verdientes Geld in 12 Matten und nannte seine Schule „Kodokan“. Zudem änderte er den Namen der von ihm unterrichteten Kampfkunst des Jiu Jitsus in Judo, woraus sich die Bezeichnung „Kodokan Judo“ entwickelte. Nachdem Jigoro seine ersten Schüler für seine Kampfkunst begeisterte und Judo unterrichtete, fing er an, wichtige Prinzipien für die Entwicklung des Charakters, der Persönlichkeit und der Tugenden seiner Schüler in die Philosophie seines Unterrichts zu integrieren.
Im darauffolgenden Jahr verlegte der Judo Meister sein Dojo in ein Lagerhaus in Tokyo. Jigoro machte sich die Techniken aus verschiedenen Jiu Jitsu Schulen zunutze, um eigene Methoden zu entwickeln, einen Gegner aus dem Gleichgewicht zu bringen und dessen Wurf auf die Matte effizienter zu gestalten. Während dieser Zeit des Studiums von Techniken und deren Verbesserung erhielt Jigoro eine Erlaubnis, „Kito ryu“ Jiu Jitsu zu unterrichten und wurde von Meister Tsunetoshi Iikubo unterstützt. Im Alter von 27 Jahren gewann er zudem die Gunst von einem Adeligen, der starkes Interesse an seinen Philosophien hatte, und ihm es ermöglichte, sein Dojo in ein geräumiges Gebäude zu verlegen. Daraufhin stieg auch jährlich die Zahl der Schüler, die um eine Aufnahme in Jigoros Dojo baten. Zudem begannen Schüler des Kodokan Judo Dojos an Wettkämpfen teilzunehmen und die von Jigoro weiterentwickelte Kampfkunst bekannt zu machen. Einige Jahre später eröffnete Jigoro sein bis dahin grösstes Dojo mit 100 Matten und die Zahl interessierter ausländischer Schüler stieg in der Folgezeit stark an.
Im Jahr 1889 begab sich Jigoro auf eine Reise nach Europa und führte an Bord eines Schiffes seine Kampfkunst des Kodokan Judos Passagieren vor, die überwiegend aus anderen Ländern stammten. Das Publikum war von der Leichtigkeit, mit der Jigoro als kleiner Mann einen grösseren Mann werfen konnte, beeindruckt und über seine wirkungsvollen Techniken erstaunt.
Mitsuyo Maeda, ein Schüler von Jigoro Kano, brachte die Kampfkünste des Jiu Jitsus und Judos nach Brasilien. Jigoro Kanos Techniken waren hauptsächlich auf den Unterricht von Kindern und Jugendlichen ausgelegt und wurden von den Gracies angepasst. Carlos und Hélio sowie weitere Familienmitglieder der Gracies entwickelten neue Techniken und Trainingsformen, woraus Brazilian Jiu Jitsu (BJJ) entstand.
Neben dem Unterricht der Judo Techniken vermittelte Jigoro umfassendes Wissen mit ausgewogenen moralischen, körperlichen und geistigen Aspekten. Jigoros Schüler lehrten seine Techniken und Philosophie im ganzen Land und der Welt. Judo entwickelte sich dadurch später zu einem festen Bestandteil der Ausbildung von Kindern an japanischen Schulen. Allgemein förderte Jigoro die Bildung in Japan und war lange Zeit Professor an Schulen sowie Berater des Bildungsministers in Japan.
Im Jahr 1909 wurde Jigoro auf Wunsch des Botschafters Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees. Weiterhin leitete er den nationalen Sportverband Japans bei der ersten Teilnahme an den Olympischen Spielen 1911. Am 4. Mai 1938 verstarb Kano in seiner Heimat Mikage im Alter von 77 Jahren. Während seiner Lebenszeit wurde Kanos Kampfkunst auf weltweiter Bühne oftmals nicht ernst genommen, im Jahre 1964 schaffte Judo es schliesslich als Disziplin in das Programm der Olympischen Spiele und etablierte sich zu einer weltweit bekannten Kampfkunst. Kano gilt als Begründer des Judos, um ihn zu ehren wurde im Jahr 2011, am 28. Oktober, der Welt-Judo-Tag eingeführt.