Das Kōdōkan ist eine der bekanntesten Institutionen in der Welt der Kampfkünste und Selbstverteidigung. Geprägt wurde sie im wesentlichen durch die Kōdōkan-Schule des fernöstlichen Japans, von wo diese auch heute noch grossen Einfluss auf die Kampfkunst ausübt. Doch was verbirgt sich hinter dieser berühmten Institution?
Als geistigen Vater des Kōdōkan-Jūdō darf man zweifellos Kanō Jigorō bezeichnen. Am 10. Dezember 1860 im japanischen Dorf Mikage geboren, siedelte der elfjährige Kanō nach dem Tod seiner Mutter im Jahre 1871 nach Tōkyō über. Unglücklicherweise sah sich der 17-jährige Kanō häufig mit Schikanen durch gleichaltrige Jugendliche konfrontiert, die aufgrund seiner schwachen körperlichen Verfassung ein leichtes Ziel in Kanō sahen. Also entschloss er sich noch im selben Jahr, Tenjin Shinyo Jiu Jitsu zur Selbstverteidigung zu erlernen. Er meisterte schnell die grundlegenden Techniken, doch aufgrund mangelnder Forderung, sah Kanō sich zwei Jahre später zu einem Wechsel zu einer besser renommierten Schule gezwungen.
Unter seinem neuen Meister, Fukuda Hachinosuke, war es Kanō möglich, sich deutlich zu verbessern. Nach dem Tod Hachinosukes trainierte Kanō unter Iso Masatomo weiter. Dieser legte wesentlich mehr Wert auf Katas, sein Dōjō war stadtbekannt für die Perfektion dieser Bewegungsabläufe. Eine Perfektion, die auch Kanō in seiner von 1879 bis 1881 währenden Trainingszeit derartig verinnerlichen sollte, dass sein Meister ihm selbst Lehrgruppen von 20 bis 30 Schülern anvertraute.
Die Erkrankung Masatomos 1881 veranlasste den jungen Kanō zu dem erneuten Wechsel seines Meisters. Unter Federführung des Sensei Ikubo Kuwakichi gelang es Kanō nun, seine Techniken noch zu verfeinern.
Bereits an dieser Station begann die Idee eines eigenen Systems zur Selbstverteidigung in Kanōs Kopf heranzuwachsen. Er ersann bereits erste Nage-Waza (Wurftechniken), die auch die Spezialität seines Meisters waren. Weiterhin studierte Kanō verschiedene Jiu-Jitsu-Stile, die ihn zur Entwicklung seines eigenen Stils inspirierten. Dieser sollte besonders an die Bedürfnisse eines jüngeren Publikums zugeschnitten sein. Zu diesem Zweck kombinierte er die von ihm als nützlich empfundenen Charakteristika verschiedener Jiu-Jitsu-Stile mit seinen eigenen, bereits erdachten Ideen. Diese Kombination fasste er auch 1884 in seiner Satzung wie folgt zusammen: „Durch das Vereinen all der Vorteile, die ich verschiedenen Schulen des Jiu Jitsu entnommen habe, und durch das Hinzufügen meiner eigenen Techniken habe ich ein neues System der Körperertüchtigung, des mentalen Trainings und des Wettkampfs gefunden. Dieses System nenne ich Kōdōkan-Jūdō.“
Es gelang ihm, die bis dahin vorherrschende Maxime, gegnerische Kraft durch eigene Flexibilität zu überwinden in das neue Konzept zur effizienten Anwendung physischer und mentaler Energie umzuwandeln.
Im gleichen Atemzug wollte Kanō nicht nur Kraft und technische Fähigkeiten seiner Schüler fördern, er hatte gleichzeitig noch den Anspruch an sich selbst, ihren Verstand zu schärfen und ihnen ethische Werte nahezulegen. Er legte viel Wert auf moralische Prinzipien, wie die Gegenseitige Rücksichtnahme der Trainierenden aufeinander.
Dass das von ihm entwickelte System neben blossen technischen Aspekten auch ethische Prinzipien verfolgte, fand sich auch in der Namensfindung wieder. Kanō ersetzte die Silbe Jitsu (Technik) aus dem Begriff des Jiu Jitsu (Sanfte Kunst, Technik) mit der Silbe „Dō“ (Pfad, Weg). Geboren war Jūdō. Da es diesen Namen in ähnlicher Form bereits gab, ergänzte er ihn um den Namen seines Dōjōs, „Kōdōkan“, was bedeutet „der Ort, den Pfad zu unterrichten“. Er war der Ansicht, dass eine solche Herangehensweise viel zur menschlichen und sozialen Entwicklung seiner Schüler beitragen kann.
Zusammengefasst war es Kanōs Anspruch, ein System zu erschaffen, welches, auf wissenschaftlichen Prinzipien basierend, Geist und Körper des Erlernenden gleichermassen stärken sollte. Von technischer Seite aus integrierte dieses System sogenannte Nage-Waza (Wurftechniken) mit Atemi-Waza (Stoss-, Schlag-, und Tritttechniken) und Katemi-Waza (Grifftechniken). Kanō beschränkte sich bei der Implementierung strikt auf Techniken, die oben genanntes Prinzip der effizienten Anwendung physischer und mentaler Energie berücksichtigten.
Im Februar 1882 war es schliesslich soweit: Zusammen mit neun Schülern eröffnete er sein Dōjō im Eishoji-Tempel, im Tōkyōter Stadtteil Shitaya. Unterstützt wurde er von seinem Meister Kuwakichi, der zwei- bis dreimal die Woche das Dōjō besuchte und Kanōs Trainingseinheiten unterstützte.
War das Dōjō anfangs noch klein, sollte es im weiteren Verlauf noch anwachsen.
Kanō legte als Meister grossen Wert auf die Disziplin seiner Schüler und zeigte ihnen gegenüber auch eine entsprechende Strenge. Gleichzeitig behandelte er sie jedoch auch wie Gäste: Er servierte ihnen Tee und Reis, unterrichtete sie kostenfrei und stellte ärmeren Schülern Trainingskleidung zur Verfügung.
Ein Jahr später, 1883, musste Kanō sein Dōjō verlegen. Die Priester des Tempels akzeptierten den Lärm des Trainings und die dabei entstehenden Beschädigungen nicht länger, obwohl letztere durch Kanō wieder repariert wurden. So begab es sich, dass das Dōjō erst auf ein dem Tempel nahegelegenes Grundstück auswich, um von dort dann endgültig in Kanōs Wohnung umzuziehen. Dort wuchs es von anfangs 12 Tatami (Trainingsmatten) auf nunmehr 20 Tatami an.
Trotzdem sollte es dauern, bis sich das Kōdōkan-Jūdō durchsetzen konnte. Kōdōkan-Jūdō wurde von konkurrierenden Schulen als Schule für Intellektuelle angesehen, der es an praktischen Elementen mangelte und dessen Lehrer Techniken bei echten Meistern gestohlen hätte. 1886 wurde ein Entscheidungskampf zwischen dem Kōdōkan-Dōjō und einer weiteren Schule angeordnet in dem sich Kanōs Schüler deutlich durchsetzen konnten. Damit wurden alle Zweifel an Kanōs Lehren ausgeräumt, so dass er die weitere Zeit damit verbrachte, entweder zu lehren, oder zu reisen, um der Welt sein System nahezubringen.
Ab 1909 beginnend war Kanō als Gesandter Japans Teil des Olympischen Komitees, bereiste die Welt und repräsentierte seine Heimat bei den Spielen in Amsterdam, Los Angeles und Berlin. Als beständiger Wettkampfsport ist Judo jedoch erst seit 1972 Teil der olympischen Spiele, allerdings nur für die Männer. Erst 20 Jahre später, im Jahr 1992, sollte sich die Sportart auch für weibliche Athletinnen öffnen.
Im Jahre 1934 liess Kanōs Gesundheit nach, sodass er keine öffentlichen Vorführungen mehr darbieten konnte. Vier Jahre später, im Mai des Jahres 1938 starb Kanō Jigorō an Bord der Hikawa Maru.
Als Vermächtnis hinterliess er in Form des Kōdōkan-Jūdō und der International Judo Federation, welche bis zum Jahr 2020 Trainierende aus über 204 Ländern der Erde vereint. Auch heute noch übt das von Kanō gegründete Kōdōkan-Institut einen grossen Einfluss auf die Kampfkunst aus. Es gilt als wichtigste Jūdō -Schule Japans und In stetigen Bestrebungen, das Judo so zu erhalten, wie Kanō Jigorō es gelehrt hat, gibt es Richtlinien für die Jūdō -Schulen und -verbände weltweit vor. Darüber hinaus hat es wesentlich Einfluss darauf, die vielfältigen Katas wieder zu vereinheitlichen.